Nach 30 Jahren

/¡Adiós Heimat!, Punta G

Punta GNach dreißig Jahren habe ich ihn gefunden: den Ort, an dem ich bleiben möchte. Portbou liegt an der äußersten Ostspitze der Pyrenäen, dort, wo das Gebirge zwischen Frankreich und Spanien ins Mittelmeer taucht.

Ein kleines Dorf, kaum mehr als eine Handvoll Straßen, eingebettet in ein enges Tal mit einer eigenen, fast privaten Bucht. Die Berge umschließen es so innig, dass die Welt draußen bleibt; was bleibt, ist ein stiller, selbstgenügsamer Mikrokosmos.

In Deutschland sagt man bekanntlich „Da möchte ich nicht einmal begraben sein“, wenn einem ein Ort missfällt. Hier erging es mir umgekehrt – und das ausgerechnet auf dem Friedhof des Ortes.

Als ich 2017 zum ersten Mal nach Portbou kam, stieg ich hinauf zum Cementiri, der oberhalb des Dorfes auf einem Vorsprung liegt. Eine hohe Mauer umgibt ihn, drinnen ist tiefe Stille. Zwischen den Gräbern und Zypressen öffnet sich ein weiter Blick über das Meer, kühl und schattig auch an heißen Tagen. In diesem Moment wusste ich: Hier könnte ich einmal liegen. Nicht aus Sentimentalität, sondern weil der Platz unzweifelbar schön ist.

An jenem Tag stand ich auch vor dem Grab von Walter Benjamin. Auf dem schlichten Stein lag eine Jakobsmuschel – das Zeichen der Pilger, die den Camino de Santiago beendet haben. Für sie markiert Finisterre, nur wenige Kilometer weiter westlich, das „Ende der Welt“ und damit das eigentliche Ziel, und auch das Ziel meiner damaligen Reise. Hier, an Benjamins Grab, schienen sich Anfang und Ende auf seltsame Weise zu berühren.

Von diesem ungewöhnlichen Ausgangspunkt aus begann ich, das Dorf und seine Umgebung genauer zu erkunden – gewissermaßen rückwärts, mit dem Ende vor dem Anfang. Was ich fand, hat mich seither nicht mehr losgelassen.

Portbou ist kein lautes Paradies, kein Postkartenmotiv für die Massen. Es ist ein Ort, der sich Zeit lässt und einem die eigene Zeit zurückgibt. Nach dreißig Jahren des Suchens habe ich hier aufgehört zu suchen.

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